Vom Suchen und Finden. Du hast da so ein Bild im Kopf: blühende Wiesen, dichtbehangene Zwetschgenbäume, du, Sammelkörbchen in der rechten, Gänseblümchen im Haar oder Bart, alles milde golden-lächelnd im Wischiwaschi-Filter abgelichtet... Hach. Wunderbar. Die Motivation ist also da, los geht's. Die Einsicht, dass dieses Bild (zunächst einmal) nichts mit der Realität zu tun hat, folgt jedoch schnell. Die Welt ist halt kein Til-Schweiger-Film. Von Zwetschgen fehlt jede Spur und im Blumenbeet sitzen nur hochnäsige Tulpen statt Gänseblümchen. Kurzum: Es mag ja sein, dass in der Stadt Wildpflanzen wachsen, aber sicherlich nicht in deiner Nachbarschaft und ganz gewiss auch nie dann, wenn du danach suchst. Oder?
Bevor du dir jetzt frustriert die Blumengirlande abzupfst, ein paar Dinge: Es stimmt, dass sich manche Stadtteile besser zur Wildwuchsjagd eignen als andere. Das sind aber nicht unbedingt die, an die du möglicherweise denkst. Als Wildpflanzneuling strebt man oft in die schönen, gepflegten Grünanlagen und steht dann da mit seinem Bestimmungsbuch und Omas Pilzkörbchen und fühlt sich irgendwie blöde. Zurecht, raus da. Wildpflanzen sind nicht zahm. Suche deshalb nicht nach Picknickwiesen (barfußflauschig getrimmter Rasen), sondern nach brachliegenden Grundstücken, ungekämmten Wiesen, Bauzäunen und verfallenen Mauern, an denen sich Brombeersträucher ranken. Als Faustregel gilt: Keine Hundepipiwiesen und 10 m Abstand zu Straßen einhalten. Orientiere dich in Parks eher am Rand (bzw. abseits der Wege) und halte Ausschau nach Hecken, kleinen Baumgruppen und Wiesenhängen. Es lohnt sich außerdem, einen Blick in die Innenhöfe zu werfen, denn dort wachsen oft die tollsten Pflanzen! In meinem eigenen zum Beispiel: Kornelkirschen, Zieräpfel, Aroniabeeren und Haselsträucher.
Wildpflanzen sind nicht zahm.
Vom Bestimmen und Ausschließen. Kastanienbäume kennst du nur aus dem Biergarten und wenn es im Englischen Garten nach Knoblauch duftet, hast du das Grillsteak der Fußballerjungs im Verdacht statt den Bärlauch, der dir auf Knöchelhöhe einen Kuss entgegenhaucht? Lass dir von jemandem, der schon im Heimat- und Sachkundeunterricht Hafer mit Roggen verwechselte, sagen: Pflanzen zu bestimmen ist nicht so schwer, wie du denkst, wenn du ein paar Dinge beherzigst.
- Besorge dir ein gutes Buch zum Bestimmen der Pflanzen. Blättere so oft es geht in dem Buch herum. Ich nutze “Unsere essbaren Wildpflanzen” von Rudi Beiser aus dem Kosmos Verlag und bin sehr zufrieden damit. Es kostet gerade einmal 15 Euro, die sich wirklich lohnen. Ich habe einige (kostenlose) Apps ausprobiert, weil es ja doch zu schön wäre, bin jedoch immer wieder zum Buch zurückgekehrt. Bisher konnte mich noch keine App überzeugen. Da ist Wikipedia oft hilfreicher.
- Die beste Einstiegszeit in die Welt der Wildpflanzen ist, wie ich finde, der Herbst oder Spätsommer, denn dann reifen genau die Früchte, Beeren und Nüsse, die du sogar nach drei Bier unter der Kastanie bestimmen können solltest: Apfel, Kirsche, Haselnuss, Brombeere und alle ihre Freunde aus der Kenn-ich-Gruppe. Im Frühjahr kann es mitunter schwierig sein, Blüten und Blätter eindeutig zuzuordnen!
- Ganz wichtig: Notiere dir die Standorte der Pflanzen und Bäume, die du bestimmen kannst und auch derjenigen, bei denen du dir unsicher bist! Begleite diese Pflanzen einige Jahreszeiten lang und beobachte sie genau. Im Frühjahr mögen sich die Blüten von Zwetschge, Mirabelle, Kirsche oder Schlehe ähneln; spätestens, wenn die Früchte reifen, löst sich die Tarnung auf. Sobald du eine Pflanze zweifelsfrei bestimmen kannst, merke dir ihren genauen Standort!
- Keine Angst vor Giftpflanzen. Spätestens, wenn dein Umfeld von deinem Vorhaben erfährt, wird die Frage kommen: "Aber was ist mit Giftpflanzen?” Worauf dann meist noch folgt: "Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der eines Tages Nase voraus tot in sein Bärlauchpesto gefallen ist! WILLST DU DAS ETWA AUCH??!” Lass dich nicht verunsichern. Die meisten Wildpflanzen haben Doppelgänger und einige wenige sind wirklich gefährlich, etwa das Maiglöckchen, das sich als Bärlauch verkleidet, oder der gefleckte Schierling. Aber: Die allermeisten “giftigen” Wildpflanzen in unseren Breiten sind – in kleinen Mengen – einfach nur ungenießbar und lösen höchstens Erbrechen aus. Zumal sie dich normalerweise durch ihren ekelhaften Geschmack höflich darauf aufmerksam machen, dass du sie bitte sofort wieder ausspucken mögest, danke vielmals. Das bedeutet natürlich nicht, dass du dir nun wahllos alles in den Mund stopfen sollst. Lass dich nur nicht so kirre machen, dass du das mit dem Sammeln gleich bleiben lässt!
Sammelzeit ist, wenn der Hund raus muss.
Vom Pflücken und Sammeln. Wildpflanzen halten sich nicht lange, deshalb gilt: Erst denken, dann pflücken. Auch wenn die Kirschen genau den richtigen Reifegrad haben: Kannst du sie wirklich noch am selben Tag verarbeiten oder bist du womöglich schon im Biergarten (Kastanie!) verabredet? Hast du überhaupt alle Zutaten da, die du für ein bestimmtes Rezept benötigst? Viele Pflanzen werden am liebsten an sonnigen oder zumindest regenfreien Tagen zwischen 10 und 15 Uhr gesammelt. Da die Wildpflanzen offensichtlich nicht bedacht haben, dass die meisten von uns in dieser Zeit arbeiten, gebe ich dir den Rat, das nicht so eng zu nehmen. Sammelzeit ist, wenn der Hund raus muss.
Viele Wildpflanzexperten empfehlen zudem, die gesammelten Pflanzen in luftigen Körbchen nach Hause zu transportieren. Dazu sage ich mal: Körbchen sind super. Sie erinnern an Picknick, an Rotkäppchen und an Hippiekultur (siehe oben). Aber. Wer von uns hat denn bitte ein Körbchen zu Hause. Wer von uns möchte denn bitte mit einem Körbchen durch den Stadtpark laufen.
edit: Tja nun. Ich bin mittlerweile stolze Besitzerin eines Weidenkorbs... Dort hinein lege ich ein feuchtes Küchenhandtuch, auf das dann die ersammelten Schätze gebettet werden, so dass die Pflanzen länger frisch bleiben. Praktikabilität schlägt in meinem Fall den Rotkäppchen-Faktor. Bei dir auch?
Wer von uns möchte denn bitte nur deshalb die dicken reifen Brombeeren stehenlassen, weil er sein Körbchen nicht zur Hand hat. Ich habe mir angewöhnt, zum Spazierengehen nicht nur Hund und Leine, sondern auch eine Papiertüte mitzunehmen, in die alles wandert, was ich später verarbeiten möchte. Ich nutze dazu die ganz normalen Tüten, die man beim Bäcker oder im Gemüseladen bekommt. Also aufheben, klein falten, rein in die Hosentasche.
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steffi (Dienstag, 06 September 2016 20:28)
Ich hab mich jetzt auch mal in unserem Hinterhof umgesehen und mit Hilfe der Nachbarin, die Kornellkirshe identifiziert. juhuhu!
Fleurban (Mittwoch, 07 September 2016 10:44)
Gleich aufsammeln, Steffi, denn diese Woche gibt's Neues zur Kornelkirsche auf Fleurban! Allerdings sollte man aufpassen, dass man wirklich nur die ganz reifen Kirschen erwischt, sonst sind sie arg sauer und lassen sich auch schwer davon überzeugen, sich vom Kern zu trennen... Aus der Kornelkirsche lässt sich unter anderem eine feine Soße herstellen, die gegen den Sommerblues hilft und Lust auf den Herbst macht. Fleurbans Rezept dazu folgt in den nächsten Tagen!